Dr.-Ing. Matthias Witte und Dipl.-Ing. Ralf Radtke im Gespräch

Wie nachhaltig sind Unternehmen der Baubranche?

Zertifizierung Bau: Start mit Pilotprojekt zu Einstieg in die CSR-Berichterstattung Unternehmen müssen in einem Umfeld agieren, das sich durch einen kontinuierlichen technologischen, ökonomischen, politisch-gesellschaftlichen und ökologischen Wandel auszeichnet. Um hier als Unternehmen langfristig zu bestehen, ist ein vorausschauendes, nachhaltiges Handeln erforderlich. Neben dem technologischen Wandel in Form der Digitalisierung wird der Klimawandel großen Einfluss auf die Zukunft von Unternehmen haben. Der Klimawandel ist nicht nur mit ökologischen Risiken, sondern auch mit veränderten Anforderungen von Gesellschaft, Kunden, Politik und Gesetzgebung an Unternehmen verbunden. Nachhaltigkeit bedeutet für die Baubranche weit mehr als nachhaltiges Bauen. Klar ist, dass der ökologische Fußabdruck der Baubranche riesig ist. Nachhaltigkeit beim Bau ist Gebot der Stunde. Damit allein ist es allerdings nicht getan. Welche Handlungsfelder für Unternehmen dieser Branche im Fokus stehen, um den Gesamtkomplex „Nachhaltigkeit“ zu erfüllen, erläutern von der Zertifizierung Bau GmbH der Geschäftsführer, Dr. Matthias Witte und Ralf Radtke, Systemzertifizierung. Sind bereits Bau-Unternehmen an Sie herangetreten, um deren Nachhaltigkeit „abklopfen“ und sich gegebenenfalls zertifizieren zu lassen? Dr. Witte: Ja, es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Anfragen und wir stellen fest, dass der Informationsbedarf hoch ist. Und sicher ist auch, dass sich die Unternehmen diesem Thema mittel- und langfristig nicht entziehen können, Auftraggeber werden zukünftig gezielt nach der Nachhaltigkeit des Unternehmens fragen – ebenso wie die Banken. Kann die Zertifizierung Bau den Unternehmen detailliert aufzeigen, wo zum Thema Nachhaltigkeit „der Schuh drückt“? Dr. Witte: Zuerst möchte ich nochmals darstellen, in welchem Kontext wir uns bewegen. Bis zur letzten Wahl und bis zur Taxonomie-Verordnung war Nachhaltigkeit ein Inselthema. Wir haben gebaut und wir konnten auch nachhaltig bauen. Jetzt steht Nachhaltigkeit in einem größeren Zusammenhang. Schnittstellen müssen bedient werden, Nachhaltigkeit mit der Schnittstelle Finanzierung: Ich kriege nur noch Geld, wenn ich nachweisen kann, dass ich nachhaltig agiere. Wie weise ich das nach? Nächste Schnittstelle: Ich muss darüber berichten, ab einer bestimmten Unternehmensgröße und ab einem bestimmten Umsatz. Hier schließt sich der Bogen zur Zertifizierung Bau: Irgendjemand muss sagen, dass dieser Bericht den Anforderungen an eine Nachhaltigkeitsberichterstattung genügt. Zuerst muss es jemanden geben, der die Unternehmen beim Verfassen dieses Nachhaltigkeitsberichts unterstützt und es muss einen Zertifizierer geben, der auf der Basis entsprechender Zertifizierungsstandards bewertet, ob den Anforderungen entsprochen wurde und der dann sein Gütesiegel „draufsetzt“. Wir als Zertifizierung Bau dürfen Unternehmen beim Einstieg in die CSR-Berichterstattung in verschiedenen Bereichen begleiten, das bietet sich geradezu an, weil sich aktuell die Anforderungen an diese Berichtspflicht deutlich erhöhen. Haben Sie dazu einen Maßnahmenkatalog für Unternehmen? Dr. Witte: Ein Maßnahmenkatalog, der übertragbar ist, haben wir – noch – nicht. Das ist auch gar nicht möglich, für jedes Unternehmen muss geschaut werden, wovon wir ausgehen können. Eines ist klar und das möchte ich betonen: Um die Unabhängigkeit als Prüfdienstleister zu gewährleisten, dürfen Zertifizierungsunternehmen nicht beraten. Wir können den Unternehmen jedoch aufzeigen, welche Standardanforderungen es gibt und an welchen Stellen diese noch nicht ausreichend erfüllt sind. Somit wissen die Kunden, was konkret zu tun ist. Und wenn ich „noch nicht“ sage, dann kann ich Ihnen mitteilen, dass wir aktuell gemeinsam mit einem Unternehmen ein Pilotprojekt umsetzen. Dieses Unternehmen ist auf uns zugekommen, weil es mittelfristig gleich aus mehrfachen Gründen ein so genanntes „Nachhaltigkeitsmanagementsystem“ benötigt. Dieses Pilotprojekt, das federführend von Herrn Radtke und einem Kollegen begleitet wird, soll den Status Quo ermitteln und die erforderliche Nachhaltigkeitsstrategie in den Blickpunkt stellen. Was sind die ersten Schritte, um sich diese Thematik zu eröffnen? Ralf Radtke: Für ein Nachhaltigkeitsmanagementsystem, kurz NH-MS, muss, wie Dr. Witte bereits sagte, eine Nachhaltigkeitsstrategie entwickelt werden, die mit den NH-Zielen und dazu passenden Maßnahmen konkretisiert wird. Die Strategie muss mit dem Leitbild des Unternehmens abgeglichen sein, die beiden dürfen sich inhaltlich nicht widersprechen. Zudem müssen Strukturen vorhanden sein, die sicherstellen, dass die notwendigen Kennzahlen ermittelt werden und dass über NH kommuniziert wird – sowohl nach innen als auch nach außen. Transparenz ist eine Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Nachhaltigkeitsmanagement. In dem Pilotprojekt haben wir jetzt in einem ersten Schritt in einem Workshop mit den Mitarbeitern das Leitbild unter die Lupe genommen und daran angelehnt, eine Nachhaltigkeitsstrategie aufgesetzt. Wenn das komplexe Thema Nachhaltigkeit jetzt umfassend aufgearbeitet werden muss, wie ist hier die Vorgehensweise? Bieten beispielsweise die 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs) die Benchmark?Ralf Radtke: Die so genannten SDGs, also die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung, sind ein sehr wichtiges Statement der Vereinten Nationen, sie geben quasi die Marschrichtung für alle vor. Für Unternehmen ist das als Vision zu verstehen, das Thema NH ist dadurch aber noch wenig greifbar. Auf europäischer Ebene wird es dann schon detaillierter. Ob beim Aktionsplan für ein nachhaltiges Finanzsystem, zu dem die schon angesprochene Taxonomie-Verordnung gehört, oder bei der Bilanz-Richtlinie – die Vorgaben gehen immer weiter ins Detail und damit wird es für Unternehmen trotz zunehmender Komplexität leichter, ins aktive NH-Management einzusteigen. Den Überblick zu behalten, kann mit Unterstützung der Zertifizierung Bau gelingen. Mit der EU-Taxonomie wurde ein spezielles Klassifikationssystem geschaffen. Es ermöglicht Unternehmen und Investoren zu erkennen, welche Wirtschaftstätigkeiten als nachhaltig gelten dürfen. Wie gehen Sie als Zertifizierung Bau darauf ein?Dr. Witte: Hier werden Tatsachen geschaffen, denn ab 2022 tritt neben der Berichterstattung auch die neue Version der Taxonomie-Verordnung hinzu, das bedeutet, dass kapitalmarkt-orientierte Unternehmen über 500 Mitarbeiter eine Liste ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten offenlegen und prüfen müssen, ob diese „Taxonomie relevante Tätigkeiten“ sind. Ab 2023 müssen die betroffenen Banken über die Nachhaltigkeit ihrer Finanzierungen berichten, dazu benötigen diese die Informationen zur Nachhaltigkeit ihrer Kunden. Die Zertifizierung Bau kann helfen, sich in die vielfältigen und komplexen neuen Anforderungen hineinzufinden. Der Aufbau eines NH-MS versetzt Unternehmen, egal welcher Größe, in die Lage, flexibel auf die Gegebenheiten zu reagieren. Wir können aufzeigen, wie der Aufbau gelingen kann, z.B. nach den Vorgaben des ZNU-Standards Nachhaltiger Wirtschaften. In Kürze werden wir vom ZNU (Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung) als Zertifizierer für diesen Standard zugelassen sein. Von uns auditierte Unternehmen können dann mit einem ZNU-Zertifikat zeigen, dass sie ein funktionierendes NH-MS aufgebaut haben und erfolgreich betreiben. Der Faktor Soziales gewinnt zunehmend an Bedeutung. Evaluieren Sie beispielsweise relevante Themen im sozialen Bereich wie Arbeitsstandards, Chancengleichheit oder das Zulieferermanagement?Ralf Radtke: Im Bereich des CSR-Reporting müssen auch Fragen aus dem sozialen Bereich

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